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Ministerin Hubertz legt die Latte hoch

Von Johanna ApelFotos von Kay Nietfeld/dpa (dpa)
Vorschau des Presseartikels Ministerin Hubertz legt die Latte hoch
„Wir sind viel zu langsam, wir sind zu kompliziert“: Verena Hubertz (Mitte) und Lars Klingbeil (links) besichtigen eine Baustelle.

Kürzere Genehmigungsverfahren sollen rasch für viele neue Wohnungen sorgen – Klingbeil verspricht Hilfe

Eigentlich hat Verena Hubertz ja versprochen, dass die Bagger wieder rollen. An diesem Mittwochmorgen aber steht die Baustelle im Herzen Berlins still, denn die Bauministerin nutzt sie als Kulisse.

Dort, mitten im Berliner Zentrum, entstehen gerade gut 100 Wohnungen. Wo vor Jahrzehnten Flugzeuge gebaut wurden und zuletzt Autos parkten, schmiegen sich jetzt Gerüste an einen gewaltigen Rohbau. Hubertz und ihr Kabinettskollege, der Finanzminister Lars Klingbeil, haben sich davor aufgebaut. Sie kommen direkt aus dem Kanzleramt auf die Baustelle. Dort haben die beiden Sozialdemokraten in der Kabinettssitzung etwas auf den Weg gebracht, das die Ministerin den „Bauturbo“ nennt. Was markig klingt und ein wenig an die „Bazooka“ von Ex-Kanzler Olaf Scholz erinnert, soll nicht weniger als das schaffen, was der Ampel nicht gelungen ist: den Wohnungsbau wieder in Schwung zu bringen. „Wir haben in Deutschland ein Problem“, sagt Hubertz. „Wir sind viel zu langsam, wir sind viel zu kompliziert.“

Es ist eine Diagnose, der etliche Bauherren und Investoren in diesem Land zustimmen würden. Noch immer entstehen in Deutschland deshalb zu wenige Wohnungen. Gerade erst lieferte das Statistische Bundesamt frische Zahlen: Im April wurden bundesweit 18.500 neue Wohnungen genehmigt. Die gute Nachricht: Das sind rund 5 Prozent mehr als ein Jahr zuvor. Die schlechte: Weil der Wert im vergangenen Jahr dramatisch niedrig war, steht eine wirkliche Trendwende noch aus. Und jede Wohnung, die nicht genehmigt wird, kann auch nicht gebaut werden.

Nun soll also der „Bauturbo“ helfen, mit dem Hubertz ins Rennen geht. Konkret will die SPD-Ministerin damit ans Baugesetzbuch gehen und es Kommunen einfacher machen, vom bisherigen Verfahren abweichen und dadurch schneller bauen zu können. In einer durchschnittlichen Stadt dauere es etwa fünf Jahre, bis ein Bebauungsplan vorliege, sagte Hubertz. „Wir werden aus den fünf Jahren jetzt zwei Monate machen“, verspricht sie. Allerdings liegt das nun in der Hand der Bürgermeister, der Stadt- und Gemeinderäte und der Bauämter. Sie bekommen zwar die „Brechstange“ an die Hand – erneut ein Begriff, der hohe Erwartungen schürt – müssen diese aber auch nutzen, wenn es mit dem höheren Tempo klappen soll.

 
„Jetzt droht vor ­allem eins: ­Teures Bauen auf der ­grünen Wiese.“
 
„Hanna Steinmüller, Bündnis 90/Die Grünen“


Kaum ist der „Turbo“ auf den Weg gebracht, hagelt es auch schon Kritik von der Opposition. Wer einen Turbo zünde, sollte vorher wissen, wo die Reise hingehe, sagt Hanna Steinmüller, Berichterstatterin der Grünen-Fraktion für Wohnungs- und Mietenpolitik. Genau daran fehle es. „Der Gesetzentwurf lässt völlig offen, welche Wohnungen entstehen sollen und zu welchen Preisen“, kritisiert die Grüne. „Statt sich auf bezahlbaren Wohnraum oder zumindest auf angespannte Wohnungsmärkte zu konzentrieren, droht jetzt vor allem eins: Teures Bauen auf der grünen Wiese.“ Auch Umweltverbände haben große Bedenken. Der „Bauturbo“ setzt aus Sicht der Naturschutzorganisation BUND die „völlig falschen Anreize“, sagt BUND-Geschäftsführerin Verena Graichen. „Ministerin Hubertz gefährdet damit die dringend notwendige sozial-ökologische Transformation der Bau- und Wohnungspolitik.

Der Wegfall wichtiger Vorgaben treibe den Flächenverbrauch voran und stehe im klaren Widerspruch zu einer nachhaltigen Bodenpolitik, beklagte Graichen. Sie forderte stattdessen „kluge Maßnahmen, die das Bauen im Bestand fördern“ und pochte dabei auf finanzielle Unterstützung, damit bezahlbarer Wohnraum entsteht. Diese Forderungen kennt auch Klingbeil. Der Finanzminister und Vizekanzler will zwar noch keine konkreten Zahlen nennen – der Bundeshaushalt wird erst in der kommenden Woche Thema im Kabinett sein – doch er verspricht: „Wir werden als Bundesregierung massiv in den Bau neuer Wohnungen investieren.“ Man werde Spielräume dafür schaffen, dass in diesem Land mehr gebaut werde.

Doch selbst wenn die öffentliche Hand aushilft: Die Baukosten sind nach wie vor gewaltig, was an einem Mix aus hohen Materialkosten, noch immer vergleichsweise hohen Zinsen und verschiedenen Nebenkosten liegt. Bauministerin Hubertz hat allerdings bereits ein mindestens ebenso gewaltiges Versprechen gewagt: Sie will die Kosten für den Bau neuer Wohngebäude halbieren. „Die Hälfte können wir uns durchaus auf die Schippe nehmen als sehr ambitioniertes Ziel“, sagte sie gerade erst der Wochenzeitung „Bild am Sonntag“. Das will sie unter anderem durch serielles Bauen erreichen.

Und dann wäre da noch ein anderer Brocken: Selbst wenn es in den kommenden Jahren gelänge, dass Häuser schneller und günstiger entstehen könnten, heißt das noch nicht unbedingt, dass alle zufrieden sind. Gerade als Hubertz vor der großen Berliner Baustelle darüber spricht, dass dort, wo nun Wohnungen entstünden, mal ein Parkplatz war, wirft jemand aus dem Hintergrund ein: „Und Bäume.“ Einwände wie diese dürfte es landauf, landab viele geben, wenn irgendwo neuer Wohnraum entsteht. Zwar heißt das noch nicht zwangsläufig, dass Anwohnerinnen und Anwohner gegen neue Bauprojekte sind – doch mit Widerstand muss die Ministerin rechnen.

Hildesheimer Allgemeine Zeitung
26. Juni 2025