Kreis Hil­des­heim – Die kwg fei­ert in die­sem Jahr ihr 75-jäh­ri­ges Bestehen. Wie sie gegrün­det wur­de, wie sie den Wie­der­auf­bau mit­ge­stal­te­te, war­um sie für eine Stadt im Kreis beson­ders wich­tig ist – und was eine Gieß­kan­ne mit Heiz­öl damit zu tun hat.

Die­ses Haus mit Bil­dern schle­si­scher Städ­te präg­te über Jahr­zehn­te das Sar­sted­ter Stadt­bild mit. Foto: Picasa

Von Tarek Abu Ajamieh

Kreis Hil­des­heim – Als das Haus mit dem mar­kan­ten Wand­bild und der gro­ßen Fas­sa­den-Auf­schrift „Du aber bleibst in mir“ nahe der Stra­ßen­bahn in Sar­stedt im Jahr 2007 abge­ris­sen wur­de, war es längst ein Relikt ver­gan­ge­ner Zei­ten. Die weni­gen ver­blie­be­nen Bewoh­ne­rin­nen und Bewoh­ner hock­ten in nach heu­ti­gem Maß­stab klei­nen, engen Woh­nun­gen und hol­ten das Öl für ihre Hei­zun­gen meis­tens mit einer Gieß­kan­ne vom gro­ßen Öltank im Kel­ler. So roch es vor allem im Win­ter in Trep­pen­häu­sern und Woh­nun­gen auch oft. Doch im Jahr 1950, als die Wohn­blö­cke an der Bres­lau­er Stra­ße errich­tet wur­den, waren sie gro­ße Hoff­nungs­trä­ger und ein Sym­bol des Wie­der­auf­baus in Deutsch­land, ein gro­ßer Schritt gegen die mas­si­ve Woh­nungs­not. Und eins der ers­ten Bau­pro­jek­te des heu­te größ­ten Ver­mie­ters im Land­kreis Hil­des­heim: der kwg.

Hil­des­heim in Trümmern

Um das nach­zu­voll­zie­hen, muss man sich die Situa­ti­on vier Jah­re nach dem Ende des Zwei­ten Welt­krie­ges vor Augen füh­ren: Wei­te Tei­le Hil­des­heims lie­gen immer noch in Trüm­mern. Zugleich gilt es nach wie vor, Flücht­lin­ge aus den deut­schen Ost­ge­bie­ten unter­zu­brin­gen – in den Städ­ten, aber auch auf dem Land. In wei­ten Tei­len Deutsch­lands herrscht aku­te Woh­nungs­not, und Stadt und Land­kreis Hil­des­heim bil­den dabei kei­ne Aus­nah­me. Vor allem Mehr­fa­mi­li­en­häu­ser feh­len. Was tun?

Bosch und K+S machen mit

In die­ser Situa­ti­on kom­men Ver­tre­ter der Städ­te und Gemein­den des dama­li­gen Land­krei­ses Hil­des­heim-Mari­en­burg ins Gespräch. Gro­ße regio­na­le Arbeit­ge­ber wie Bosch oder Kali + Salz gesel­len sich dazu – sie brau­chen Wohn­raum für ihre Beschäf­tig­ten. Am 3. Mai 1949, drei Wochen vor der Grün­dung der Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land, tref­fen sich Ver­ant­wort­li­che von Kom­mu­nen und Fir­men, aber auch Pri­vat­per­so­nen im Berg­hölz­chen und heben jenes Unter­neh­men aus der Tau­fe, des­sen Nach­fol­ge­fir­ma die kwg ist: Die „Woh­nungs­bau- und Klein­sied­lungs­ge­sell­schaft für den Kreis Hildesheim/Marienburg“. Fünf Mona­te spä­ter ent­steht unter ähn­li­chen Umstän­den eine gleich­na­mi­ge Gesell­schaft für den dama­li­gen Land­kreis Alfeld.

Die Hil­des­hei­mer Woh­nungs­bau­er legen los wie die Feu­er­wehr. Noch 1949 begin­nen sie in Söhl­de, Sar­stedt und Ahr­ber­gen mit dem Bau der ers­ten, durch die jun­ge Bun­des­re­pu­blik mit öffent­li­chen Mit­teln geför­der­ten Mehr­fa­mi­li­en­häu­ser. In der Regel sind es ein­fa­che, 47 Qua­drat­me­ter gro­ße Zwei-Zim­mer-Woh­nun­gen mit Küche und Bad – die vie­len Men­schen aber eine gra­vie­ren­de Ver­bes­se­rung ihrer Lebens­si­tua­ti­on bringen.

3000 Woh­nun­gen in zehn Jahren

Und es geht mit hohem Tem­po wei­ter. 1958 stellt die Hil­des­hei­mer Woh­nungs­bau­ge­sell­schaft erst­mals mehr als 1000 Woh­nun­gen in einem ein­zi­gen Jahr fer­tig. Sie bringt es in den ers­ten zehn Jah­ren ihres Bestehens auf rund 3000 neue Woh­nun­gen, von denen sie zwei Drit­tel ver­kauft. Die Alfel­der brin­gen es in den ers­ten zehn Jah­ren auf 456 gebau­te Wohnungen.

Schwer­punkt Sarstedt

1960 folgt ein wei­te­rer Mei­len­stein. Die KWG ver­ein­bart eine Koope­ra­ti­on mit der Fir­ma Neue Hei­mat Han­no­ver über den Bau von gleich 4000 Woh­nun­gen in Sar­stedt. Die Klein­stadt im Nord­kreis, durch ihre Lage zwi­schen Hil­des­heim und Han­no­ver schon damals ein begehr­ter Wohn­ort, ver­dankt ihr deut­li­ches Wachs­tum in den ver­gan­ge­nen Jahr­zehn­ten nicht zuletzt die­ser Schwer­punkt­set­zung der KWG, die dort wie ab 1967 mit der Sied­lung auf dem Klei regel­rech­te klei­ne Stadt­tei­le aus dem Boden stampft – in damals höchst moder­ner und effi­zi­en­ter Bau­wei­se mit geschoss­ho­hen Beton­fer­tig­tei­len für die Fas­sa­den. Spä­ter wer­den die ent­spre­chen­den Gebäu­de etwas despek­tier­lich „Plat­ten­bau­ten“ genannt. Modern unter­wegs ist die KWG in Sar­stedt auch, als sie dort 1965 ihr ers­tes Fern­heiz­werk errichtet.

Erst 1973/74 endet fürs ers­te die Auf­bau­zeit, nach­dem in den Jah­ren zuvor unter ande­rem die Zuwan­de­rung soge­nann­ter Gast­ar­bei­ter den Bedarf an immer neu­en Woh­nun­gen noch befeu­ert hat. Der Woh­nungs­markt gilt zunächst als „gesät­tigt“, zudem sorgt die Ölkri­se für einen wirt­schaft­li­chen Ein­bruch und stei­gen­de Arbeits­lo­sig­keit. Im Jahr 1983 hat die KWG rund 3000 Woh­nun­gen. Kern­ge­schäft ist längst die Ver­wal­tung, nicht mehr der Neu­bau. Fünf Jah­re spä­ter steigt mit Kali + Salz der letz­te Gesell­schaf­ter aus der Pri­vat­wirt­schaft aus. Fort­an gehört die KWG allein Land­kreis und Kommunen.

Alfel­der mit Problemen

Doch ein Jahr spä­ter fällt der Eiser­ne Vor­hang, mit ihm die Mau­er – und auch die KWG steht erneut vor einem Kurs­wech­sel. Nun geht es wie­der dar­um, mög­lichst schnell neu­en Wohn­raum zu schaf­fen, aller­dings nach deut­lich moder­ne­ren Ansprü­chen als 1949. In den drei Jah­ren nach dem Mau­er­fall baut die KWG noch ein­mal gut 300 Woh­nun­gen, 196 für sich selbst und 121 im Auf­trag von Investoren.

2008 folgt, was die Land­krei­se schon 30 Jah­re vor­her voll­zo­gen haben: die Fusi­on mit der Alfel­der Kreis­wohn­bau­ge­sell­schaft. Wenn auch nicht ganz frei­wil­lig. Die klei­ne Schwes­ter im Süd­kreis ist durch die demo­gra­fi­sche Ent­wick­lung und eige­ne Feh­ler in Schief­la­ge gera­ten, zu vie­le leer­ste­hen­de Woh­nun­gen drü­cken auf die Bilanz. Nun wird die heu­ti­ge kwg end­gül­tig zur Wohn­bau­ge­sell­schaft für den gan­zen Land­kreis, mit inzwi­schen rund 4250 Woh­nun­gen im Portfolio.

Neue Wege mit „Argen­tum“

Heu­te beur­teilt die Geschäfts­füh­rer Mat­thi­as Kauf­mann die Situa­ti­on ganz anders als 1949 – aber nicht voll­stän­dig anders. Wie­der sorgt der Zuzug von Flücht­lin­gen dafür, dass neue Woh­nun­gen nötig sind. Und die kwg baut, obwohl ihr Chef zuletzt öfter geklagt hat­te, dass sich das ange­sichts der Bau­prei­se kaum noch rech­ne. „Um den sozia­len Frie­den zu gewähr­leis­ten, darf nie­mand auf der Stra­ße sit­zen“, stellt Kauf­mann dazu fest. „Die Schaf­fung von bezahl­ba­rem Wohn­raum für brei­te Bevöl­ke­rungs­schich­ten und Men­schen, die sich nicht selbst ver­sor­gen kön­nen, bleibt des­halb eine Kern­auf­ga­be der kwg.“

Die ist unter Kauf­manns Ägi­de auch neue Wege gegan­gen. Hat eine Toch­ter­ge­sell­schaft gegrün­det, die im Auf­trag von Kreis und Kom­mu­nen zum Bei­spiel Kitas oder die neue Ret­tungs­wa­che in Sar­stedt baut. Und sie hat das „Argen­tum“ erfun­den: Bar­rie­re­freie Mehr­fa­mi­li­en­häu­ser mit geho­be­nem Anspruch und Ser­vice- und Gesund­heits­dienst­leis­tun­gen, um die sich man­che Kom­mu­nen förm­lich reißen.

Kli­ma­neu­tra­li­tät im Fokus

Als größ­te Auf­ga­be der nächs­ten Jah­re betrach­tet Kauf­mann frei­lich die Umstel­lung auf Kli­ma­neu­tra­li­tät. Nach und nach sol­len fos­si­le Hei­zun­gen ver­schwin­den. Die Gieß­kan­ne mit Heiz­öl – sie wirkt vor die­sem Hin­ter­grund, als sei sie vor 77 Jah­ren letzt­mals eine Trep­pe hin­auf­ge­tra­gen wor­den. Und nicht vor 17.

Eine Aus­stel­lung zur Geschich­te der kwg ist ab Don­ners­tag, 13. Juni, im Kun­den­cen­ter Hil­des­heim an der Kai­ser­stra­ße 15 mon­tags bis don­ners­tags von 8 bis 17 Uhr sowie frei­tags von 8 bis 12 Uhr zugänglich.

Quel­le: www.hildesheimer-allgemeine.de | 12.06.2024