Bau-Gewerkschaft warnt vor Asbest in 37.600 Wohnhäusern – was tun?
Tonnenweise Baumaterial mit Asbest steckt in vielen Altbauten der Region. Darauf weist die Industriegewerkschaft
Bauen-Agrar-Umwelt hin. Hildesheimer Fachleute geben Rat, um mit dem Problem umzugehen.
Von Alexander Raths
Kreis Hildesheim. Die Industriegewerkschaft (IG) Bauen-Agrar-Umwelt warnt vor Asbest in Altbauten. 37.600 Wohnhäuser im Kreis Hildesheim sind „Asbest-Fallen“ bei einer Sanierung, so die Gewerkschaft. Die hatte nach eigenen Angaben eine Analyse beim hannoverschen Pestel-Institut in Auftrag gegeben. Zwischen 1950 und 1989 wurden, der IG Bau zufolge, 77.200 Wohnhäuser im Kreis neu gebaut – etwa 50 Prozent aller Wohnhäuser. Dazu kommen Gewerbegebäude, Garagen sowie Ställe und Scheunen in der Landwirtschaft. Jeder Bauarbeiter und jeder Heimwerker müsse wissen, auf was er sich einlässt, wenn er Fliesen abschlägt, Wände einreißt oder Fassaden saniert, so Stephanie Wlodarski von der IG Bau.
Die Handwerkskammer Hildesheim-Südniedersachsen weist ebenfalls auf die schwierige Situation hin. „Innen ist Asbest wegen der geringen Luft-Austauschrate immer ein Gesundheitsproblem“, so Yannik Herbst, Sprecher der Handwerkskammer, auf HAZ-Nachfrage.
Unternehmen, bei deren Arbeiten die Oberflächen von fest gebundenen Asbestfasern beschädigt werden, müssen laut Handwerkskammer einen Experten für Technische Regeln für Gefahrstoffe 519 (TRGS 519) für die Baustelle beauftragen. Da eine Beschädigung bei allen Sanierungen wahrscheinlich ist, gilt das laut Kammer für sehr viele Aktionen dieser Art.
Die Kammer rät prinzipiell: Oberflächen, bei denen mit Asbestfasern zu rechnen ist, sollten nur von Firmen bearbeitet werden, die einen TRGS-Fachmann beschäftigen. Es gibt im Internet diverse Angebote und Hinweise zur Prüfung der Asbesthaltigkeit – so etwa von der Stiftung Warentest.
Die Kammer empfiehlt zudem Heimwerkern, bei kleineren Reparaturen Oberflächen feucht zu halten und sofort den Abtrag abzusaugen. Zudem gilt: Den Staubsauger mindestens einmal täglich in einem stabilen Plastik leeren und den zur Gefahrstoffsammlung bringen. Nützlich ist auch das Tragen einer FFP 2‑Maske. Nach Arbeitsende sollten alle Flächen feucht abgewischt und der Raum nachts stoßgelüftet werden – also Fenster öffnen, nicht nur kippen. Aber: Bei größeren Aktionen sollte man auf jeden Fall einen Spezialbetrieb beauftragen. Im Zweifel besser nachfragen.
Die Kreiswohnungsbaugesellschaft Hildesheim (kwg) betont, dass Aufklärung beim Thema Asbest wichtig sei. Wer mit Baustoffen hantiert, muss laut kwg grundsätzlich wissen, welche Risiken von diesen ausgehen können. Zudem sei bedeutend, Panikmache zu vermeiden. Die kwg hat ein Konzept entwickelt, um mit Asbest umzugehen. So würden bei umfangreichen Arbeiten, etwa Wohnungssanierungen, zuvor Proben entnommen und analysiert. Bei großen Vorhaben sind dem Unternehmen zufolge Gefahrstoffuntersuchungen selbstverständlich, gehören zum standardisierten Bauablauf. Spezialfirmen erneuern unter Einhaltung der Sicherheitsvorschriften die kwg-Wohnungen. Bei großen Umbauten von Gebäuden, die einem Neubau nahekommen, ist die Sanierung alter Schadstoffe wie Asbest normaler Teil des Bauprozesses. Beispiele sind die Alte Post in Alfeld oder der Umbau der früheren HAWK in der
Hildesheimer Kaiserstraße, die komplett von Gefahrstoffen befreit wurden. Die kwg hebt mit Blick auf Gesundheitsrisiken hervor: „Klar ist, dass das Wohnen in einer Immobilie, in der gebundener Asbest verbaut ist, ungefährlich ist. Ein Risiko besteht erst, wenn an dem Bauteil gebohrt oder geschliffen wird und Asbestfasern freigesetzt werden“, so Sprecherin Judith-Maria Reichardt. Dies erklärt die kwg auch ihren Mietern: „Wir haben das Bohren und Schleifen an unseren Fußböden ausdrücklich untersagt.“ Als Ansprechpartner bei Problemen helfe ein Technik-Team.
Die Gemeinnützige Baugesellschaft zu Hildesheim AG (gbg) betont ebenfalls, wie wichtig richtiger Umgang mit Asbest sei. „Wir nehmen die Sicherheitsvorgaben äußerst ernst“, so gbg-Sprecher Frank Satow. Und: „Wir sorgen bei Sanierungen für die genaue Einhaltung der gesetzlichen Vorschriften, um eine mögliche Gefährdung auszuschließen.“ Der Haus- und Grundeigentümerverein Hildesheim und Umgebung empfiehlt Eigentümern, analysieren zu lassen, wo Asbest verbaut sein könnte und wie hoch die Kosten der Entsorgung wären. Man solle jedenfalls Eigentümer nicht mit Bußgeld ‚bestrafen’, wenn sie gegebenenfalls alte Bestandsgebäude gekauft haben, um diese zu erhalten und Asbest vorerst eingebaut lassen, so Haus und Grund-Geschäftsstellenleiter Sebastian Graue.
Und das Problem bleibt akut: Laut Bundesanstalt für Arbeitssicherheit und Arbeitsmedizin sterben jährlich rund 1500 Handwerker durch Berufskrankheiten an der Lunge, die sie sich durch den Kontakt mit Asbest zugezogen haben, teils schon vor Jahrzehnten. Dem Bundesinstitut für Bau‑, Stadt- und Raumforschung zufolge wurden in Deutschland zwischen 1950 und 1990 rund 4,4 Millionen Tonnen Asbest importiert, verarbeitet und verbaut – und werden womöglich künftig wieder freigesetzt.
Durch Sanierungen in Bestandsgebäuden könnten bundesweit mehrere hunderttausend Beschäftigte aus der Branche gefährdet sein – wenn sie Schutzvorschriften nicht beachten. Von vielen ahnungslosen Heimwerkern ganz zu schweigen. Ihnen wird dringend empfohlen, Arbeiten in Gebäuden mit Asbestverdacht unbedingt Experten zu überlassen.
Quelle: Hildesheimer Allgemeine Zeitung | 22.11.2023