Mie­ter­strom: Vie­le Fra­gen noch offen

Ein Modell, das kaum genutzt wird – aus Unkennt­nis / Bernd West­phal will nun Abhil­fe schaffen

Von Nor­bert Mierzowsky

Hil­des­heim. Die Idee ist gut und etwa fünf Jah­re schon Gesetz in Deutsch­land: Ver­mie­ter kön­nen auf ihren Objek­ten Pho­to­vol­ta­ik­an­la­gen instal­lie­ren und  den Strom an ihre Mie­ter selbst ver­kau­fen. Doch seit Anfang an gab es eini­ge Tücken. Die Fol­ge: Vie­le Ver­mie­ter haben von dem Modell Abstand  genom­men. Nun will sich der Hil­des­hei­mer SPD Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­te Bernd West­phal der Sache anneh­men und zum Jah­res­be­ginn in Hil­des­heim Auf­klä­rung  betreiben.

Nut­zen könn­ten das Gesetz sowohl Woh­nungs­bau­ge­sell­schaf­ten wie in Hil­des­heim die Gemein­nüt­zi­ge Bau­ge­nos­sen­schaft (gbg) und die Kreis­wohn­bau­ge­sell­schaft (kwg) eben­so wie der klas­si­sche Klein­ver­mie­ter. Bei der Ent­wick­lung von gro­ßen Wohn­ge­bie­ten wie dem Ostend und künf­tig dem Gebiet an der Pap­pel­al­lee sowie dem Was­ser­kamp wird mitt­ler­wei­le  grund­sätz­lich das The­ma Pho­to­vol­ta­ik ein­be­zo­gen. Aber es gibt kei­ne Mie­ter­strom­ver­trä­ge. War­um? Vie­le glau­ben, die Ein­nah­men ber­gen gro­ße Risiken.

Vol­ker Spieth als Geschäfts­füh­rer des Hil­des­hei­mer Mie­ter­ver­eins ist gleich­zei­tig Mit­glied für die Grü­nen im Stadt­rat. Er hat die Debat­te im Blick – und ist  selbst rat­los. Nach­dem das Mie­ter­strom­ge­setz 2017 vom Bun­des­tag ver­ab­schie­det wur­de, hat er sich dahin­ter­ge­klemmt, es auch für Hil­des­heim wirk­sam  zu nut­zen – damit Mie­ter güns­ti­ge­re Ener­gie­prei­se bekommen.

Denn eines sieht das Gesetz klar vor: Der Preis, den der Ver­mie­ter für die Kilo­watt­stun­de Strom ver­langt, muss deut­lich unter dem durch­schnitt­li­chen Markt­preis lie­gen. Doch per Gesetz wur­de der Ver­mie­ter plötz­lich selbst zum­Ener­gie­ver­sor­ger. Für sei­nen ver­kauf­ten Strom muss er Gewer­be­steu­er zah­len. Ein kla­res Minus­ge­schäft. Zumal sich das Ent­gelt für das Ein­spei­sen ins öffent­li­che Netz nicht rech­net: Es liegt im ein­stel­li­gen Bereich.

Doch das Gesetz wur­de längst ange­passt – blieb aber kom­pli­ziert. Von Anfang an gab es  vie­le gro­ße Fra­gen wie nach den Abga­ben als EEG-Umla­ge. Und: Wie rech­net man mit Mie­tern ab? Braucht man einen eige­nen Ver­trag? Und was ist, wenn die Mie­ter den Strom nicht wol­len? Lau­ter Unsi­cher­hei­ten für eine an sich öko­lo­gisch gut gemein­te Idee.

Denn das Poten­zi­al ist groß, um über die Dächer von Miet­ob­jek­ten einen Bei­trag zur Ener­gie­wen­de zu leis­ten. Das Bundeswirtschaftsministerium
geht von min­des­tens 3,8 Mil­lio­nen Wohn­ein­hei­ten aus. Und es wer­den mehr. Allein in Hil­des­heim gehen künf­tig zwei gro­ße Pro­jek­te an den Start.

In den ver­gan­ge­nen Jah­ren lie­fen vie­le Inter­es­sen­ver­bän­de Sturm gegen die Beschrän­kun­gen im Mie­ter­strom­ge­setz. Das wur­de dar­auf­hin nach­ge­bes­sert. Doch das Pro­blem bleibt: Für Ver­mie­ter ist das Gesetz noch ein Buch mit sie­ben Sie­geln. Auch für gro­ße Gesell­schaf­ten, wie eine HAZ-Anfra­ge bei gbg und kwg zei­gen. Grund­sätz­lich wer­den bei gbg-Neu­bau­ten auch Pho­to­vol­ta­ik­an­la­gen instal­liert, bestä­tigt Spre­cher Frank Satow.

Dabei spie­le auch das  The­ma Mie­ter­strom eine Rol­le. Nur: „Wir haben der­zeit kein kon­kre­tes Pro­jekt, bei dem Mie­te­rin­nen und Mie­ter über ein Mie­ter­strom-Modell direkt den Strom bezie­hen kön­nen, aber wir beob­ach­ten die Ent­wick­lung im Markt genau“, teilt gbg-Vor­stand Jens Mahn­ken mit.

Ähn­lich sieht es bei der kwg aus. Deren Pro­ku­rist Ralf Igge­na nennt als Grund vor allem „recht­li­che Bedin­gun­gen“. Doch habe die Gesell­schaft aktu­ell eine Aus­schrei­bung lau­fen, für die rund 100 im Land­kreis Hil­des­heim geeig­ne­ten Objek­te einen Ener­gie­ver­sor­ger zu suchen, der den Strom auf den Dächern erzeu­gen will. „Wir stei­gen nichts selbst ein“, sagt Igge­na, „wir sind Ver­mie­ter und Exper­ten für den Woh­nungs­bau, aber kei­ne Stromanbieter“.

Gleich­wohl sieht er beim The­ma Mie­ter­strom eine gro­ße Chan­ce, die Ener­gie­wen­de vor­an­zu­brin­gen und Mie­tern Ent­las­tung bei stei­gen­den Ener­gie­prei­sen zu bie­ten. Als ein Ener­gie­an­bie­ter ist auch die EVI am Ball: „Wir bau­en Anla­gen für Haus­be­sit­zer, oder wir mie­ten auch Dächer, um sie mit PV-Anla­gen zu bestü­cken. Die  Nach­fra­ge nach Mie­ter­strom ist gering“, teilt Pres­se­spre­che­rin Kat­rin Groß mit. Hin­ter­grund sei die „Kom­ple­xi­tät des Themas“.

Das kann wie­der­um einer nicht ver­ste­hen, der selbst an dem Mie­ter­strom­ge­setz und des­sen Ände­run­gen als SPD-Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­ter betei­ligt war: Bernd West­phal „Die meis­ten Hemm­nis­se sind ent­fal­len oder fal­len 2023.“

Auch das The­ma Gewer­be­steu­er­pflicht sei vom Tisch. Das hat auch ein Urteil des Bun­des­fi­nanz­hofs gefor­dert: Die Ver­mie­tung von Wohn­raum ist  (meis­tens) umsatzsteuerfrei.

Dazu zählt auch die Bereit­stel­lung von Wär­me und Strom. West­phal nimmt die HAZ-Anfra­ge nun zum Anlass, um zu Beginn des neu­en Jah­res Ver­tre­ter von Woh­nungs­bau­ge­nos­sen­schaf­ten und Inter­es­sen­ver­tre­ter wie Haus und Grund oder den Mie­ter­ver­ein zum Aus­tausch an
einen Tisch zu brin­gen. Ein Ter­min folgt noch.

Kom­men­tar:
Vor­tei­le für Mie­ter nutzen

Ver­mie­ter ver­kau­fen den Strom von ihrem Dach an ihre Mie­ter – zu güns­ti­gen Prei­sen. Eine gute Idee des Gesetz­ge­bers. Doch sie kommt nicht an. Zu vie­le Hür­den beglei­ten das Gesetz von Anfang an. Es ist zu kom­pli­ziert. Dumm gelau­fen. Denn die Dach­flä­chen der ver­mie­te­ten Immo­bi­li­en kön­nen einen beacht­li­chen Teil zur Ener­gie­wen­de bei­steu­ern. Und der güns­ti­ge Mie­ter­strom wür­de die Ver­brauchs­prei­se sen­ken. Wäh­rend die Bun­des­re­gie­rung im gro­ßen Stil auf Ener­gie­the­men wie Wind­kraft oder Flüs­sig­gas­ter­mi­nals setzt, hat sie die Chan­ce lan­ge Zeit ver­schla­fen, im Klei­nen anzu­set­zen. Jetzt geht es, aber kei­ner weiß es. Bleibt zu hof­fen, dass der Hil­des­hei­mer Bun­des­tags­ab­ge­ord­ne­te Bernd West­phal wenigs­tens in der Regi­on das The­ma an den Start
brin­gen kann.

Quel­le: Hil­des­hei­mer All­ge­mei­ne Zei­tung | 29.12.2022