Mietwohnungsbau innerhalb eines Jahres drastisch eingebrochen
Wohnungswirtschaft in Niedersachsen warnt: Der soziale Wohnungsbau droht zum Erliegen
zu kommen / Unternehmen kritisieren höhere Baustandards und unklare Förderung
Verbandsdirektorin Frau Dr. Schmitt begrüßt das Engagement der kwg Hildesheim für den sozialen Wohnungsbau und legt den Grundstein zweier neuer Mehrfamilienhäuser in Sarstedt. Foto: kwg Hildesheim
von Marco Seng
Hannover. Die Wohnungswirtschaft in Niedersachsen schlägt Alarm. Der Mietwohnungsbau ist innerhalb eines Jahres drastisch eingebrochen, der Bau von neuen Sozialwohnungen akut gefährdet. Der Mietwohnungsneubau hänge am „seidenen Faden“, sagte Susanne Schmitt, Direktorin des Verbandes der Wohnungswirtschaft (VdW) am Mittwoch. Nach einer Studie des Pestel-Instituts (Hannover) droht 2023 sogar ein Rekordwohnungsmangel.
Ebenfalls am Mittwoch erklärte das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), der Bauboom in Deutschland sei gestoppt. Im Jahr 2022 sei erstmals seit vielen Jahren inflationsbereinigt das Bauvolumen gesunken, und zwar um 2 Prozent. Als Grund dafür nannte das Institut die Inflation und Lieferengpässe. Studienautor Martin Gornig fordert einen Strategiewechsel: Die Bundesregierung müsse sich stärker auf die Nachverdichtung im Bestand fokussieren, um bezahlbaren neuen Wohnraum gerade in den Ballungsräumen zu schaffen.
Nur 1290 Wohneinheiten geplant
Die Wohnungswirtschaft in Niedersachsen sieht die hohen Baukosten mit verursacht durch steigende Baustandards, höhere Klimaschutzauflagen, steigende Zinsen und eine unklare Förderkulisse. Die Probleme seien nicht neu und der Politik bekannt. „Aber geändert hat sich bislang nichts“, sagte Schmitt.
Nach einer aktuellen Umfrage des VdW bewertet ein Großteil der Wohnungsunternehmen in Niedersachsen die aktuelle Geschäftslage als schlechter oder deutlich schlechter als im Vorjahr. Gerade noch 23 von 77 Unternehmen wollen demnach in diesem Jahr mit neuen Projekten beginnen, acht davon haben ihre Neubaupläne um 30 bis 50 Prozent reduziert.
Die VdW-Mitgliedsunternehmen haben laut Umfrage im vorigen Jahr 3412 neue Mietwohnungen fertiggestellt beziehungsweise mit ihrem Bau begonnen. Im laufenden Jahr soll nur noch mit dem Bau von 1290 Wohneinheiten begonnen werden „Diese Tendenz wird sich unter den jetzigen Rahmenbedingungen klar fortsetzen. Wenn die Politik nicht sofort handelt, wird der soziale Wohnungsbau zum Erliegen kommen“, warnte Schmitt.
„Bau-Booster“ gefordert
Die rot-grüne Landesregierung hat in ihrem Koalitionsvertrag die Schaffung von 100.000 zusätzlichen Mietwohnungen angekündigt, davon 40.000 Sozialwohnungen. Dazu will das Land noch in diesem Jahr eine gemeinnützige Landeswohnungsgesellschaft gründen. Schmitt hält es für „sehr schwierig“, dieses Ziel zu erreichen.
Die Verbandschefin forderte, die energetischen Standards für Neubau und Bestand nicht weiter zu verschärfen sowie eine stärkere finanzielle Förderung des sozialen Wohnungsbaus. Land und Kommunen müssten zudem für günstiges Bauland sorgen und die Nutzung selbst erzeugten Stroms müsse deutlich vereinfacht werden. Der Leiter des Pestel-Instituts, Matthias Günther, erwartet in diesem Jahr vor allem einen „neuen Notstand bei den Sozialwohnungen“. Es gebe eine Rekordzuwanderung, aber auch das größte Wohnungsdefizit sei Jahrzehnten. Nötig sei jetzt ein „Bau-Booster“ gezielt für den sozialen Wohnungsbau, sagte Günther.
Das Pestel-Institut hat zusammen mit dem Wohnungsbau- und Bauforschungsinstitut ARGE (Kiel) eine Studie im Auftrag des Bündnisses „Soziales Wohnen“ erstellt, dem unter anderem der Deutsche Mieterbund, die Caritas und die IG BAU angehören. Die Ergebnisse sollen an diesem Donnerstag vorgestellt werden.
Die AfD im niedersächsischen Landtag erklärte, die aktuellen Zahlen belegten das „Totalversagen“ der Landesregierung. SPD Bauminister Olaf Lies sei seit mehr als fünf Jahren für den Wohnungsbau zuständig, bringe ihn aber mehr und mehr zum Erliegen, sagte der AfD-Abgeordnete Omid Najafi.
Quelle: Hildesheimer Allgemeine Zeitung, 12.01.2023
Foto: kwg Hildesheim | Judith-Maria Reichardt