Geld für Fahr­ten zur Bau­stel­le: 1096-mal um die Erde

Von Alex­an­der Raths

Kreis Hil­des­heim. Der Lohn­zet­tel für Bau­ar­bei­ter im Kreis Hil­des­heim sieht dies­mal in einem wich­ti­gen Punkt anders aus: Zum ers­ten Mal bekom­men  Bau­ar­bei­ter im Febru­ar eine Lohn­ab­rech­nung, auf der die Kilo­me­ter eine Rol­le spie­len, die sie im Janu­ar auf ihrem Weg zu den Bau­stel­len zurück­ge­legt haben. „Das ist eine Pre­mie­re: End­lich gibt es eine Ent­schä­di­gung für Fahr­stre­cken und für die vie­len Stun­den, die Mau­rer, Beton­bau­er, Kran­füh­rer & Co. unter­wegs sind“, sagt Ste­pha­nie Wlo­dar­ski, Bezirks­chefin der IG Bau Niedersachsen-Mitte.

Bis­lang habe ein Groß­teil der Arbei­ter „Zeit und Ner­ven inves­tiert, um zu Bau­stel­len zu kom­men“, so Wlo­dar­ski. „Und das zum Null-Tarif. Die meis­ten haben ihre Zeit für die Fahr­ten dem Chef geschenkt.“

„Wich­ti­ger Schritt nach vorn“

Die Ent­schä­di­gung sei „ein wich­ti­ger Schritt nach vorn, um die Arbeit auf dem Bau vom Lohn her attrak­ti­ver und gleich­zei­tig gerech­ter zu machen“. Immer­hin sei­en die Stre­cken enorm, so die IG Bau.

Die Gewerk­schaft hat die Fahr­stre­cken beim Pest­el-Insti­tut in Han­no­ver unter­su­chen las­sen. Dem­nach sind 2080 Arbei­ter – und damit neun von zehn Beschäf­tig­ten der Bau­bran­che – im Kreis Hil­des­heim an 200 Arbeits­ta­gen unter­wegs, um Gebäu­de, Stra­ßen und Brü­cken zu errei­chen, die sie bau­en oder sanie­ren sol­len. Für die ein­fa­che Tour legen sie dabei im Schnitt 53  Kilo­me­ter zurück. Das Pest­el-Insti­tut kommt dabei auf 43,9 Mil­lio­nen „Bau­stel­len-Kilo­me­ter“ im Jahr. „Rein rech­ne­risch fah­ren die Bau­ar­bei­ter aus dem Kreis Hil­des­heim damit 1096-Mal um die Erde. Klar, mal liegt die Bau­stel­le um die Ecke, oft ist sie aber ganz weit drau­ßen“, so Wlodarski.

„Das Ergeb­nis macht deut­lich, dass die Arbei­ter viel Extra-Zeit am Auto-Steu­er oder im Bul­li ver­lie­ren. Dabei ist die Wege­zeit nichts ande­res als für den Job inves­tier­te  Lebens­zeit“, sagt Cars­ten Bur­ck­hardt, zustän­dig im IG Bau-Bun­des­vor­stand für Bau­wirt­schaft. Die Fahr­ten zu den Bau­stel­len sei­en „Zeit­fres­ser“. Trotz­dem sei es ein „har­tes Stück Arbeit“ gewe­sen, die Ent­schä­di­gung am Tarif­tisch durch­zu­set­zen. „Die Arbeit­ge­ber haben sich jah­re­lang gesträubt“, so Burckhardt.

Doch die Zei­ten, in denen die Tou­ren „unter den Tep­pich gekehrt wur­den“, sei­en end­gül­tig vor­bei: Für die Stre­cken zwi­schen dem Betrieb und der Bau­stel­le bekom­men Betrof­fe­ne, die Tag für Tag von zu Hau­se aus anfah­ren, jetzt – je nach Kilo­me­tern – zwi­schen 6 und 8 Euro pro Tag. Wer kein Fir­men­fahr­zeug fährt, son­dern das eige­ne Auto nimmt, erhält wei­ter zusätz­lich Kilo­me­ter­geld. Auch für Tickets für Bus­sen und Bah­nen gibt es eine Erstat­tung. Und wer auf Mon­ta­ge ist und nicht jeden Tag nach Hau­se fah­ren kann, bekommt – abhän­gig von der Stre­cke – zwi­schen 18 und 78 Euro pro Woche.

„Jungs sind erst­mal versorgt“

„So sind die Jungs erst­mal ver­sorgt“, lobt Achim Tau­bert, Betriebs­rats­chef beim Hil­des­hei­mer Unter­neh­men Her­mann Bet­tels Tief- und Stra­ßen­bau mit rund 80 Beschäf­tig­ten, das Ergeb­nis der Tarif­ver­hand­lun­gen in der Bau­bran­che. „Damit sind wir zufrie­den. Das ist jetzt ein guter Anfang. Wir müs­sen aber sehen, wie sich die Situa­ti­on wei­ter entwickelt.“

„Dies ist eine sehr ver­nünf­ti­ge Rege­lung, da die­se zwi­schen  Bau­stel­len mit und ohne täg­li­cher Heim­fahrt unter Berück­sich­ti­gung der Ent­fer­nung der Bau­stel­len dif­fe­ren­ziert“, begrüßt auch Rai­ner Kube­ra, Geschäfts­füh­rer des gleich­na­mi­gen Hil­des­hei­mer Unter­neh­mens, auf HAZ-Nach­fra­ge die Entwicklung.

„Bis zum 31. Dezem­ber 2022 erhiel­ten gewerb­li­che Arbeit­neh­mer auch in unse­rem Unter­neh­men einen pro­zen­tua­len, undif­fe­ren­zier­ten Zuschlag in Höhe von 0,5 Pro­zent auf ihren Arbeits­lohn. Für Fah­rer haben wir eine betriebs­in­ter­ne Ver­ein­ba­rung getrof­fen“, erklärt Kubera.

„Wir ste­hen einer ange­mes­se­nen Ent­schä­di­gung für die Wege­zei­ten unse­rer gewerb­li­chen Mit­ar­bei­ter, die auf Stun­den­lohn­ba­sis ver­gü­tet wer­den, posi­tiv gegen­über.“ Auch die ange­stell­ten Polie­re, die monat­lich Gehäl­ter bezie­hen, wür­den aus­drück­lich erfasst, so Kube­ra weiter.

Her­vor­zu­he­ben sei, dass die neu­en Regeln für alle Beschäf­tig­ten, also auch sol­che in nicht-tarif­ge­bun­de­nen Betrie­ben gel­ten, da der Bun­des­rah­men-Tarif­ver­trag für gewerb­li­che Beschäf­tig­te all­ge­mein­ver­bind­lich ist. „Kla­re Regeln füh­ren zu mehr Fair­ness im Wett­be­werb und einer gerech­te­ren Bezah­lung der Arbeit­neh­mer“, fügt Kube­ra hinzu.

Der weist jedoch dar­auf hin, dass höhe­re Löh­ne mehr Kos­ten für Kun­den bedeu­ten könn­ten. „Wie sich eine wei­te­re Erhö­hung mit den wirtschaftlichen
Ent­wick­lun­gen und einem zuneh­mend stär­ke­ren Wett­be­werb ver­trägt, wird sich zeigen.“

Auch Mat­thi­as Kauf­mann, Geschäfts­füh­rer der Kreis­wohn­bau­ge­sell­schaft Hil­des­heim, befür­wor­tet die Ent­wick­lung: „Dies trägt dazu bei, Bau­be­ru­fe attrak­ti­ver zu machen. Denn wir brau­chen Nach­wuchs. Man muss aber am Ende sehen, wie wir das bezahlen.“

Quel­le: HIl­des­hei­mer All­ge­mei­ne Zei­tung, 17.02.2023